review by Frank Muscheid in Neue Osnabrücker Zeitung:
MUSIK WIE AUF FLÜGELN IN BAD IBURG / Grandioser David Philips im Casablanca
Bad Iburg. Großartige Musik hat das Casablanca am Freitagabend präsentiert: Mit David Philips baute ein Ausnahmekünstler seine sieben Sachen vor kleinem Publikum auf. Der gebürtige Engländer, der im siebten Stock gleich unterm Dach im sonnigen Barcelona wohnt, den Ausblick auf die Vögel liebt und aus einer Zigarrenkiste aus der Dominikanischen Republik eine Blues-Gitarre baut, hat der Kneipe einen kultigen Abend beschert. Irgendwo zwischen Jazz, Blues, Rhythm’n’Blues, Folk und Ragtime. Musikalisch festzunageln ist David Philips kaum. Da spielte ein unterschätztes Multitalent, das längst auf großen Bühnen auftreten müsste. Dafür konnte das Bad Iburger Publikum hautnah genießen, was dieser Mensch mit jeder Faser abfeierte.
Jeder Einfall sitzt
So, wie Philips eigenhändig CDs verkauft und den Hut herumreicht, hat er alle Alben selbst produziert. Die „Rooftop Records“ etwa auf dem Dach seiner Wohnung. „Wenn man genau hinhört, hört man die Menschen auf der Straße“, verkündete er dem Publikum. Nah am Leben sind seine Songs, live so perfekt wie auf Silberling. Denn der Nottinghamer ist gelernter Toningenieur. Und Musiker durch und durch. Mit 14 sah er Jimi Hendrix, wechselte von Trompete auf Gitarre. Und mache, was Singer-Songwriter eben so machen, über den „Mist“ des Lebens Lieder schreiben, statt übrigens wie mancher Multimillionär Mist-Lieder zu schreiben: Da sitzt jeder musikalische Einfall und Tonfall.
Songfunken auf Reisen
Auf Reisen sammele er Ideen, wenn er Ruhe habe, „dann kommen die Songs“. Musikalisch erkundete er den HipHop, später den Metal, den Jazz. Das macht sein musikalisches Universum so spannend, seine intensiven Gitarren-Linien und Rhythmen, die spanisch gefärbten, schnellen Pickings und sphärischen Soli. Textlich behandelt er Themen wie Vertrauen, Trennung und Freiheit, das Leben und seine Untiefen, die er mit ganz eigener Leichtigkeit betrachtet: „If I had wings“ heißt sein neuestes und bislang experimentellstes Album, das Blues-Wurzeln und Jazz-Komplexität mit elektronischen Loops kreuzt wie Zimt und Apfelchutney.
Das tänzerisch dahinfließende, folkige „Angel“ mit einem im Kopf nachhallenden Hammer-Gitarrensolo war nur eine der Highlights, dazu die alles überspannende, melancholisch-warme Ausnahmestimme, die vom verzweifelten Auseinanderleben singt. Oder das tribalhaft unterlegte „Suffocate“, das entspannt und zugleich dynamisch „I will drift away with you“ verheißt. Später der groovige R’n’B-Kracher „Venomous Soul“, in dem Philips dank Aufnahmetechnik mehrstimmig Lebenslust und Frust besingt und das er in starke, schürfende Gitarrenhooks und Postrock-Attitüde kleidet. Grandios auch „Flying high“ – über seine Art, die Flugangst zu bezwingen – und das poppig-hintersinnige „Only miss you when I’m drunk“.
Slide-Spiel auf der Zigarrenkiste
Und dann: Die Zigarrenkiste in Aktion mit Slide-Vollgas in „Tied Up Gagged and Bound“ und schmachtende Mundharmonika-Einlagen im fast fröhlichen „Lonely“ über den Bruch mit der Freundin. „Nothing soothes my soul like that december wine“, heißt es im gleichnamigen Puls-Beschleuniger. Und nichts geht so nah wie diese Gitarren-Perlen, die mit den Sorgen wie mit Partygästen tanzen. Auf dem Land bei Nottingham sei er mit vielen Vögeln groß geworden: „Die haben mich schon immer fasziniert. Mein Freund und ich haben damals abgehangen und Vögel beobachtet“, sagt Philips. Sie zu zeichnen, hat er erst vor zwei Jahren begonnen. Vielleicht, weil er viel von seinem Großvater, einem Künstler, mitgenommen hat, ist auch das Artwork des neuen Albums so perfekt geworden – ein Multitalent eben.